Hier warten die Irren.

Montag, 6. Oktober 2008

Sprachstandserhebung nach Waldorf Art



Spielerische Sprachstandserhebung
"Delfin 4" bringt Kinder zum Sprechen und Lehrer zum Zweifeln
Es geht um Delfine, Tiger, Giraffen und Elefanten: Als erstes Bundesland führt NRW verbindliche Sprachtests für Vierjährige ein. Was die Kleinen können, wird spielerisch bei einem "Besuch im Zoo" ermittelt.

Aus dem teilweise geheimen Tagebuch von Thomas Block

Nach vier Stunden Unterricht in der Schule besteige ich eilig mein kompaktes Stadtfahrzeug und fahre so schnell es geht in den Waldorf Kindergarten in den Erlen, schräg gegenüber der Kläranlage. Schließlich habe ich mich für ca. 11:20 Uhr angemeldet und wenn ich zu spät komme, hat vielleicht wieder einer der Probanden die Windpocken. Wir haben vereinbart, dass die Kinder schon mit frisch gewaschenen Händchen und hoch motiviert um den Spieltisch herum hocken, um sogleich mit dem Spiel beginnen zu können. „Mann, was werden die sich freuen“, denke ich noch so bei mir, als ich die Baustellenampel bei fast-noch-grün überquere.
Kurz nach halb 12 stehe ich also mit meinem fast noch druckfrischen Delfin4 Spiel im pastellfarbenen Waldorfkindergartenflur, wo mich die Leiterin auch gleich freundlich begrüßt und auf den menschenleeren Raum deutet, in dem ich gleich testen dürfen soll. Die Kinder sind zwar noch draußen, die Erzieherin sei aber dabei, sie einzusammeln. Prima. Also baue ich das Spiel schnell auf, lege mir den noch druckfrischeren Protokollbogen auf die Knie und warte. Wann hat man im hektischen Berufsleben auch sonst mal Zeit, 10 Minuten in sich zu gehen und an nichts zu denken. Schließlich betritt dann doch noch ein einsames Kind den Raum. Wie ich schnell herausbekomme, handelt es sich um Magnus Ruben Fürstenfeld (geringfügig veränderter Name). Ich frage ihn, welche Spielfarbe er bevorzuge und weise ihm daraufhin den Sitzplatz an der roten Spielkante zu). Kurze Zeit später erscheint dann doch noch die Erzieherin mit weiteren Probanden. Leider gibt es nur wenige Überschneidungen zwischen der Menge der von ihr eingesammelten Kindern und der Liste mit den Namen der zum Test Vorbestimmten. Svea Margeaux Schneider (geringfügig veränderter Name) und Francoir-Günter Falkenhof (Name stark geändert) sind irgendwie umgezogen und besuchen den Kindergarten nicht mehr oder sie sind krank. Genau kann ich das jetzt auch nicht einordnen. Zur Wiedergutmachung hat die Erzieherin aber zwei ganz andere Kinder mitgebracht. Kimi Finn Zimmermann (geringfügig veränderter Name) und Piere Liebherr (geringfügig veränderter Name) „Oh, Kimi… so wie der Rennfahrer Kimi Räikkönen“, versuche ich das Eis zu brechen.“ Schließlich heißen meine privaten Söhne ja Mika und Keke und mit finnischen Namen kenne ich mich daher bestens aus. Doch mein Spitzen-„Türöffner“ erweist sich recht schnell als ganz daneben. Ich schaue in mehrere verständnislos dreinblickende Augen. Jetzt vermute ich ganz stark, dass Formel 1 Rennfahrer-gut-finden in der Pädagogik Rudolf Steiners eine nur untergeordnete Rolle spielte. Bevor es nun bald losgehen kann, versäumt es die Erzieherin nicht, mir noch mitzuteilen, dass sie und ihre Einrichtung und sogar ihr Dachverband (ich hatte gedacht, dass der Dachverband nach all den Kyrillsturmschäden ganz andere Sorgen hätte), ihr Dachverband also das Spiel und das Verfahren zur Diagnostik, Elternarbeit und Förderung der Sprachkompetenz Vierjähriger in NRW und eigentlich ja auch die ganze Gesellschaftsform ablehnen würden. Trotzdem, so fügt sie großherzig an, trotzdem wolle sie mit ihren Kindern nun das Spiel spielen (Gottseidank). Aber eines ist ihr schon klar. Ihre Kinder sind ja so eine Art von Spiele, mit Würfeln und Karten und so gar nicht gewöhnt und sie kann sich gar nicht vorstellen, dass das überhaupt klappt. „Ich habe das Spiel Zuhause“, interveniert Magnus Ruben freudig. „Ach echt?“, frage ich ein bisschen erfreut und etwas erstaunt. „Ja, ich habe das Spiel auch Zuhause“, pflichtet ihm Pierre bei. Die Erzieherin schaut mich mit einer Mischung aus Verwunderung und Scham an und fragt mich, ob es denn egal sei, welches Kind fortan mit welcher Farbe spielen solle und weil ich dies bejahe, ändert sie die bisher von mir schon verteilten Zuordnungen kurzerhand. Ich vermute, dass dies nach Steiners Erkenntnissen der Farbenlehre geschieht und wage es nicht Einwände anzubringen. Schließlich ist ja erst eine gute halbe Stunde vergangen und bald schon werden wir beginnen können. Obwohl ich schon gar nicht mehr damit rechne, verläuft die erste Spielrunde ohne größere Zwischenfälle. Die Erzieherin muss zwar zweimal ihren Platz wechseln um das jeweils an der Reihe befindliche Kind auf den Schoß zu nehmen, aber ansonsten zeigen sich keine Unterschiede zu den bisherigen Spielverläufen mit den Migrationshintergrundkindergartenkindern. Manche sprechen, manche sprechen nicht und manche lassen einen Fördebedarf erahnen. Ganz normal also. In der zweiten Runde sitzt Felix dann aber unter dem Tisch. Im frisch gedruckten Anweisungsheft ist das, so stelle ich durch schnelles Blättern fest, gar nicht vorgesehen. Das Spielfeld ist von seinem jetzigen Sitzplatz auch schwer einzusehen, so dass er Schwierigkeiten mit der von ihm abverlangten Bildbeschreibung hat. Von unter dem Tisch kann er den Höhepunkt der Szene auf seiner Spielfeldseite. (Kind hat sein Eis fallen lasse) gar nicht sehen, das Wesentliche demnach schwerlich gleich am Anfang kurz zusammenfassen und dabei möglichst noch Haupt- und Nebensatzkonstruktionen aneinanderreihen. Dafür hätte er möglicherweise viele Punkte sammeln können, aber stattdessen ist jetzt wieder Kimi Finn Räikkönen, der Rennfahrer an der Reihe. Leider ist er mittlerweile in der Spielecke und spielt backen. Er lässt sich aber von den Argumenten der Erzieherin überzeugen und begibt sich wieder an seinen Platz und lässt sich von ihr die Anweisungskarte mit der gelben Giraffe vorlesen. „Nimm deine gelbe Spielfigur in die Hand“. Wir warten. Er tut es nicht. Ach so, die gelbe Spielfigur ist nicht mehr da. Nach kurzer Befragung durch die Erzieherin, gibt er zu bedenken, dass die gelbe Spielfigur ja noch im Backofen ist. Während die Erzieherin die gelbe Spielfigur ihrer eigentlichen Bestimmung wieder zuführt, beschließt der Rennfahrer Kimi Finn Räikkönen, dass es an der Zeit ist zu bauen. „Ich baue jetz ersma“, erklärt er und beginnt mit einem Teil einer Brio Eisenbahnbrücke eine halbe Eisenbahnbrücke zu bauen. Ich überlege kurz, ob ich ihm dies als Verwendung einer Dreiwortäußerung mit einem Punkt anrechnen soll, entscheide mich aber dagegen. Steht ja nicht im frisch gedruckten Anweisungsheft. Felix hat den Raum inzwischen verlassen, dafür stehen draußen mindestens fünf andere Kinder und schauen klopfend durch das Fenster um uns ein wenig zu zerstreuen. „Ich hab es ja gewusst“, meint die Erzieherin nach etwa 40 Minuten. So lange können sich die kleinen Kinder eben noch nicht konzentrieren. Dem pflichte ich bei und füge hinzu, dass wir im anderen Kindergarten nach 40 Minuten auch schon beim Kaffee saßen, während wir jetzt noch anderthalb Spielrunden vor uns haben. „Der Kimi ist ja auch gerade erst 3 Jahre geworden. Da kann er das ja noch gar nicht können“, klagt sie weiter. Leider kann ich das anhand meiner Liste nicht überprüfen, denn ein Kimi stand ja gar nicht drauf. Also frage ich nach: „Gerade erst 3 geworden? Wann denn?“ „Im August“ antwortet sie. Ich überschlage kurz im Kopf. Heute ist der 16. März (mein Geburtstag) und demnach wird Kimi, der gerade 3 geworden ist ja in etwa 5 Monaten auch schon wieder 4. Schnelllebige Zeit. Das nehme ich als Stichwort und mahne die Erzieherin zur Beschleunigung des Spieles. Und da ja nun nur noch drei Kinder mittun, ist es nach weiteren 15 Minuten auch schon geschafft. Kimi muss am Ende des Spiels noch länger überredet werden, die gelbe Spielfigur wieder herzugeben (Vielleicht will er sie noch fertigbacken), aber auch das gelingt noch. Die Kinder verlassen den Raum so wie sie kamen und ich bekomme von der freundlichen Erzieherin noch eine Einführung in die Grundsätze der Eurythmie und einen Rundgang durch den Walsdorfkindergarten. Irgendwann erwache ich. Ich sitze wieder in meinem kompakten Stadtfahrzeug vor einer roten Ampel. Ich glaube alles war nur ein Traum. Doch als ich auf den Beifahrersitz schaue sehe ich die ausgefüllten und immer noch druckfrischen Protokollbögen. Ich werde Kimi Finn und Felix bald wieder sehen. Sie haben sich für die Stufe 2 des Screenings qualifiziert. ---Ende

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