Hier warten die Irren.

Dienstag, 11. November 2008

Meine Erfindung

Die Erfindung

Es gab mal eine so tolle Erfindung.
Ich war noch Schulkind, aber Elektrostrom und Benzinautos gab es schon, Computer und Internet aber nicht. Nur Internat und da wollte ich nicht hin, denn das hatte ich einmal in einem tschechischen Kinderfilm gesehen. Damals gab es nur wenig TV Programm. Für Kinder sogar besonders wenig. Hauptsächlich gab es da, offenbar von Sozialpädagogen Hergestelltes. So Knetmännchen, die beispielsweise nicht sprechen konnten und immer nur hmm hmm machten. Manchmal machten sich die Knetmännchen rund oder so, rollten herum und machten hm hm. Trotzdem musste es geguckt werden. Es gab ja sonst nichts. Doch, eines ja noch: Tschechische Kinderfilme. Die waren zumeist trist. Sie machten mir angst. Ich guckte sie trotzdem. Vormittags gab es sowieso gar nichts im Fernsehen. Nur ein Testbild. Dazu ein Pfeifton. Manchmal habe ich mir das angeschaut und genau darauf geachtet, ob der Ton sich vielleicht nach einer Stunde verändert. Tut er nicht. Ich kann es ja ruhig verraten, denn heute gibt es nach meinem Wissen kein Testbild mehr. Nur noch so etwas ähnliches. Nachts kommen immer nackte Damen, die Telefonnummern aufsagen. Die kamen früher auch nicht, denn wir hatten sowieso kein Telefon. Unsere Nachbarn hatten ein Telefon, wir nicht. So war das alles. Erlebte Geschichte. Die Terroristen der RAF und die Fußballweltmeisterschaft 1974 möchte ich nur kurz nennen. Ich war dabei. Aber meistens nur in schwarzweiß, denn einen Buntfernseher hatten nur unsere Nachbarn. Ihr kennt sie schon: Das sind auch die mit dem Telefon.

Zu genau dieser Zeit, kam mir eine revolutionäre Erfindung zu Ohren.
Es handelte sich um eine neue Art von Bleistift. Ich war sofort begeistert. Es war nämlich so: Den Bleistift musste man nie anspitzen. Das war gut für mich, denn ich verlor immer meine Anspitzer. Ich erkläre nun, wie die Erfindung ging: Der Bleistift bestand aus einem Plastikschaft, wie bei einem Filzstift. Innen hohl. Eine Röhre sozusagen. Vorne in der Röhre drin, steckte ein Plastikdings, das wiederrum eine kleine Bleistiftmine hielt. Damit schrieb man. Wenn die winzige Bleistiftmine stumpf oder ganz abgenutztz war, konnte man das Plastikdings vorne aus dem filzstiftähnlichen Plastikschaft herausziehen – und jetzt kommt's – hinten wieder reinstecken. Dadurch wurde vorne ein neues Plastikdings mit einer ganz neuen Bleistiftmine herausgedrückt.
Ich war begeistert von der Erfindung und hielt meine Eltern an, mir einen solchen Wunderstift zu kaufen. Ich gab zu bedenken, dass der etwas höhere Anschaffungspreis im Vergleich zu konventionellen Bleistiften, sich ja durch den Wegfall von würde. Meine Eltern kauften mir den Stift nicht.

Doch das Schicksal (oder die kosmische Fügung meinte es gut mit mir. Nur wenige Zeit später, war ich Gastkind bei einem Kindergeburtstag meines Nachbarkindes. Ihr wisst Bescheid: Die Leute mit dem Telefon und dem Buntfernseher. Im Verlaufe des Kindergeburtstagsfestes bekam ich bei irgendeinem Spiel oder so (ich weiß nicht mehr) einen von mir so sehnlich gewünschten Wunderbleistift als Gewinn. Ich war glücklich.
Ich schrieb, malte, rechnete fortan nur mehr mit diesem einen Stift. Meinen Anspitzer warf ich durch das vergitterte Kellerloch auf dem Schulhof. Ich brauchte ihn ja nicht mehr. Ich war ein glückliches Schulkind.

Aber nicht so lange.

Denn: Nach nur wenigen Spitzenwechseln, aufmerksame Leser ahnen es bereits, kam vorne eine stumpfe Mine zum Vorschein. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und das Schlimmste. Man konnte die stumpfen Minen weder anspitzen, noch als Zubehör nachkaufen.

Jetzt kann man sich fragen: Wieso kommt der Autor drauf? Was will uns diese olle Geschichte sagen? Wo liegt der Mehrwert des Lesers? Eine Moral gar? Natürlich gibt es den Grund. Wer vielleicht den Tagebucheintrag zum EXTRABREIT Konzert gelesen hat, kann mir folgen. Dort kam ich zu einigen Dutzend KOSTENLOSER Ohrenstopfen. Gehörschutzstopfen. Sie sind bunt und aus weichem Schaumzeug. Man muss sie etwas kleinkneten und dann mit sanfter Gewalt in den Gehörgang stopfen. Dann hört man nichts mehr. (Auch keine Rockmusik auf Rockmusikkonzerten, für die man 40€ bezahlen muss.)
Im Selbstversuch fiel mir aber auf, dass der Lärmschutzeffekt schon nach etwa 24 Stunden signifikant merkbar nachlässt. Da ich ja ausreichend Stopfen mein eigen nenne (Immerhin waren sie kostenlos...), steckte ich einfach (mit sanfter Gewalt) zwei neue Stopfen hinterher. Schon war der Gehörschutzeffekt wieder da. In den nächsten Tage steckte ich jeweils ein neues Paar bunter Schaumstopfen in die Gehörgänge, sobald ich den Eindruck hatte, dass ich zuviel hörte. Ich erinnerte mich allmählich an den nachfüllbaren Wunderbleistift aus meiner Kindheit. Es ist in etwa das gleiche Prinzip. NUR: Wenn ich neue Stopfen nachschiebe, kommen sie alten nicht vorne wieder raus. DACHTE ich zuerst. Aber nach etwa zwei Wochen des Experimentes bemerkte ich einen leichten Druck im Rachenraum. Ich bekam einen leichten Würgereiz und erbrach 2 bunte, kleine Schaumstoffpropfen. Durch den Verbindungsgang zwischen Ohr und Rachenraum, die sogenante trochäische Röhre, wanderten die Ohropaxe, bis sie wieder das Licht der Welt erblickten. Jetzt musste ich die ausgeschiedenen Stopfen nur kurz unter warmem Wasser abspülen und konnte sie wieder ins Ohr nachschieben. Das System funktioniert viel besser als damals mit dem blöden Bleistift. Meine Erfindung will ich demnächst mal bei einer Ohrenschutzfirma anmelden. Kann sein, dass ich damit reich werde.

Vielleicht. Oder?







Epilog: Ich habe recht viel Ärger von meinen Eltern bekommen, als ich erzählen musste, dass ich den Anspitzer ins vergitterte Kellerloch der Schule geworfen hatte. Sie haben nicht recht verstanden. Außerdem muss ich meine Mutter mal fragen, wo der Wunderbleistift geblieben ist. Dann könnte ich ein Foto davon machen und es diesem Text beifügen. Das mache ich gleich morgen.

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